Die kapitalistische Produktionsweise ist auf Wettbewerb und Gewinnmaximierung ausgelegt. Um sich in diesem, durch unfaire Startbedingungen geprägten System zu behaupten, entsteht oft Druck, welcher physische und psychische Folgen hat. Vor allem die Verlierer der Gesellschaft leiden darunter; hier wird dieser Zwang zu einem Kampf um die Existenzsicherung.
Wenn die Luft zum Atmen fehlt
In Deutschland sind rund 17,3 Millionen Menschen von Armut bedroht.[1] Betroffene sind ständigem Druck ausgesetzt, da es häufig nur niedrige und ungesicherte Einkommen gibt. Die Folgen sind Verschuldung, ungesicherte Wohnverhältnisse, psychische Probleme, soziale Ausgrenzung und Krankheit. Vor allem Kinder leiden unter diesem Armutsdruck, sie haben meistens nicht mehr als eine warme Mahlzeit am Tag.[2] [3]Diese Prekarität ist verbunden mit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen oder Arbeitslosigkeit. Ein besonders extremes Beispiel sind die Arbeitsbedingungen bei Versandunternehmen. Ob DHL oder Hermes, Paketlieferanten setzen immer häufiger auf Sub-Sub-Unternehmer*innen. Das Konzept läuft nach einem simplen Prinzip: Konzerne beauftragen Unternehmen Pakete auszuliefern, welche den Auftrag dann wiederum an gesetzlich selbstständige Arbeiter*innen weitergeben. Die Folge: Der Schutz des Arbeitsrechts wird ausgehebelt. Das bedeutet Schichten bis zu 16 Stunden ohne Pause, 200 ausgelieferte Pakete pro Tag, häufig kein Kündigungsschutz und keine Sozialversicherungen, dafür aber niedrige Löhne, oft unter Mindestlohn. Während der Arbeitgeberverband die Großkonzerne als „schwarze Schafe“ bezeichnet, sieht die Gewerkschaft Verdi ein strukturelles Problem, welches in Teilen moderner Sklaverei ähnelt. Viele der Arbeiter*innen haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Dadurch, dass die Aufenthaltstitel jedoch an die Arbeit gekoppelt sind, entsteht eine starke Abhängigkeit.[4] Das ZDFneo Magazin Royale singt 2018 im Rahmen einer Sendung über das Thema in einem Kampflied für das Logistik-Proletariat „Ich bin kein Mensch, ich bin kein Tier. Nein, ich bin Paketkurier.“[5] Die Zuspitzung trifft erschreckend die entmenschlichende Lage, die Abhängigkeit, und den damit verbundenen Druck, welche durch Ausbeutung geschaffen werden.
Doch die Situation verschlechtert sich auch bei direkt angestellten Arbeiter*innen. Seit der Corona-Pandemie gab es immer wieder enorme Reallohn-Einbußen, [6] viele Menschen im Niedriglohnsektor sind nicht zuletzt wegen der niedrigen Löhne auf Sozialleistungen angewiesen.[7] Auch im Zusammenhang mit scheinbar ins unendliche steigenden Mieten wird die Lage immer brenzliger.[8] Diese Dynamik verschärft sich weiter, für viele geht es dabei, um die Sicherung der Lebensgrundlage.
Wer nicht leisten kann, fällt durch das Raster
Die Dynamik, Leistung um jeden Preis oder Zerfall, wird schon in der Schule eingetrichtert. Neben der sozialen Selektion und den Fragmenten eines Bildungsauftrages, besteht Schule vor allem aus Wettbewerb und der Angst zu verlieren. Schüler*innen werden anhand von Noten miteinander verglichen , und müssen bei Fehlleistungen in ständiger Furcht leben wiederholen zu müssen, was bedeutet aus dem kompletten sozialen Umfeld gerissen zu werden. Die Erwartungen steigen stetig. Nach der Grundschule aufs Gymnasium, dann studieren: Das scheint heutzutage der Normalfall des Lebenslaufs junger Menschen zu sein. Während 1990 das Verhältnis zwischen Auszubildenden und Studierenden ca. gleich war, gibt es heutzutage mehr als doppelt so viele Studierende wie Auszubildende. Diesen Trend wollen Politiker*innen fast aller Parteien noch weiter treiben, um die Wettbewerbsfähigkeit der BRD auszubauen. Besonders Arbeiter*innen-Kinder, fallen dabei nicht selten hinten runter, da weder das Geld für teure Nachhilfe, noch der akademische Habitus und die bürgerliche Sprache vorhanden ist.
Soziale Reproduktion im Kapitalismus
Gesellschaftlicher Druck und Armut kann im Kapitalismus jeden treffen. Trotzdem leiden Frauen deutlich häufiger und stärker unter den gesellschaftlichen Verhältnissen; sie sind eindeutig öfter von Armut betroffen. Im Alter spitzt sich die Situation meist zu. 2023 war jede 5. Frau armutsbetroffen, das ist deutlich häufiger als bei Männern.[9] Das Problem ist also offensichtlich systematisch verankert. Häufig fällt in dem Zusammenhang der Begriff „Reproduktion“, doch was bedeutet das?
Zur sozialen Reproduktion zählt jede art von Arbeit, die zur Erhaltung der Arbeitskraft von Lohnarbeiter*innen dienen. Dazu gehört Kindererziehung, Zubereitung von Nahrung und andere Haushaltsarbeiten. Diese Arbeiten werden auch heute noch stereotypisch als weiblich gesehen und 52% mehr von Frauen als von Männern geleistet. Auf eine Woche gerechnet leisten Frauen rund 30 Stunden unbezahlte Arbeit, in vielen Fällen noch neben der Lohnarbeit.[10] Obwohl die Care-Arbeit die Grundlage aller anderen Arbeitsformen darstellt, wird diese häufig stark abgewertet, da sie anders als Lohnarbeit keinen Mehrwert in Form von Geld bringt. Die sogenannte Care-Arbeit bleibt in den meisten Fällen unbezahlt, was dazu führt, dass Frauen häufig in Armut geraten. Da die Größe der Care-Arbeit, anders als Lohnarbeit, nicht mit Zahlen dargestellt werden kann, sondern lediglich eine gefühlte Größe ist, schenkt auch die Politik dieser Arbeit kaum Beachtung. Da es für die Care-Arbeit fast keine Entlohnung gibt, können Frauen durchschnittlich deutlich weniger in die Rente einzahlen, was die Altersarmut erklärt und häufig zu einer materiellen Abhängigkeit gegenüber Männern führt.
Was tun?
Ob jung oder alt, in einer Welt, in der Menschen nicht mehr als Waren eines Wettbewerbs sind, gibt es keine materielle Freiheit. Der gesellschaftliche Druck zeigt sich in den verschiedensten Facetten, ob in absoluten Ausbeutungsverhältnissen, in der Schule oder durch die Unterdrückung von Frauen. Um für eine menschenwürdige Zukunft zu kämpfen, braucht es eine klassenbewusste, feministische und antidiskriminierende Bewegung gegen das Kapital. Wir können uns von den schwer auf uns lastenden Ketten des Kapitalismus befreien. Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung!